Hilfe für Kinder und Jugendliche in Nöten: Vier Fragen an Schulpsychologe Roy Gatzemeier

Viele Kinder und Jugendliche sind Tag für Tag in großen Nöten: Angst vor dem Schulbesuch, Lern- und Konzentrationsprobleme, aber auch Mobbing und Probleme im Klassengefüge sind weiter verbreitet, als so mancher annimmt. Umso wichtiger ist eine fundierte, integrierte und professionelle Beratung und Begleitung aller Beteiligten. Welche Themenkomplexe bestimmen den Alltag eines Schulpsychologen, gerade in diesen Zeiten? Vier Fragen an…. Roy Gatzemeier, Schulpsychologe an den städtischen Grundschulen und der Sekundarschule Meinerzhagen sowie am Evangelischen Gymnasium.

Herr Gatzemeier, wie kann man das Thema Schulpsychologie eigentlich einordnen und wie viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene haben Sie bislang hier in Meinerzhagen begleitet?

Seit Anfang 2017 habe ich insgesamt 186 Familien mit ihren Kindern und Jugendlichen begleitet. Hinzu kommen Kontakte zu den jeweiligen Lehrer*innen, die häufig in die Beratung einbezogen werden. Oft ist auch der Austausch mit anderen, z.B. Schulleitungen, der Schulsozialarbeit und Sonderpädagogik, dem Jugendamt oder Psychotherapeut*innen, hilfreich oder erforderlich.

Die Schulpsychologie betrachtet die Schule mit all ihren verschiedenen Einflüssen, die aufeinander einwirken – beispielsweise die einzelnen Individuen, die Gruppen und die übergeordnete Organisation „Schule“ selbst. In diesem Feld stellt die Schulpsychologie das psychologische Know-how bereit und bietet Beratung und konkrete Unterstützung für alle Beteiligten an. Das erfolgt im gegenseitigen Austausch, auf Augenhöhe und individuell-lösungsorientiert.

Welche Themen decken Sie hauptsächlich in Ihrer Arbeit ab, welche Angebote und Hilfestellungen können Sie geben?

Die meisten Anfragen liegen auf der Ebene einzelner Schüler*innen. So kläre ich in der Diagnostik Fragen im Zusammenhang mit Teilleistungsstörungen (z.B. Dyskalkulie oder Legasthenie) oder allgemeiner Leistungsbeeinträchtigungen. Außerdem werde ich angefragt, wenn es Schwierigkeiten im Arbeitsverhalten gibt, seien es Fragen zum „Lernen lernen“, in der Hausaufgabensituation, der Konzentration oder im sozial-emotionalen Verhalten, bei Prüfungsängsten oder dem Fernbleiben vom Unterricht. Dazu suche ich je nach Auftragslage und, da ich unter Schweigepflicht stehe, dem Einverständnis der Eltern die jeweilige Schule auf, mache mir ein Bild und versuche dann in einem ganzheitlichen Ansatz, eine gute Lösung zu finden. Ein anderes Thema ist die Gruppenebene, auf der ich tätig werde, wenn es beispielsweise um die Verbesserung des Klimas innerhalb einer Klasse geht. In diesem Zusammenhang kann es wichtig sein, die Schule auch bei der Entwicklung und Durchführung von Präventions- und Interventionsprogrammen wie z.B. „mobbing- oder gewaltfreier Schule“ zu unterstützen.

Sie haben eben einen ganzheitlichen Ansatz im Sinne der Beteiligung angesprochen. Wie gilt dies auch für die Inhalte Ihrer Arbeit – inwieweit sind diese miteinander verknüpft?

Die Verknüpfung ist oft ganz eng. In der Regel sind die Themen multikomplex. Ein einfaches Beispiel: Es kann sein, dass ich eine Anfrage für die Diagnostik einer Lese- und Rechtschreibstörung bekomme. Wenn ich die Diagnostik durchführe, kann sich z.B. herausstellen, dass aufgrund dieser Problematik schulische Ängste entstanden sind. Daraus resultieren dann wieder neue Themen und Ansatzpunkte, die ebenfalls in meine Beratung einfließen.

Der Beratungsbedarf umfasst ganz viele Aspekte neben den schon genannten, z.B. im Hinblick auf die weitere Schullaufbahn, aber auch im Bereich von depressiven Symptomen, Weglauftendenzen und vieles mehr.

Was hat sich in der Pandemie für Sie verändert?

Da ich normalerweise viel in Kontakt mit anderen Menschen komme und die Schulen aktiv aufsuche, war die Aufrechterhaltung des Beratungsdienstes anfangs eine Herausforderung. Neben den entsprechenden Sicherheits- und Hygienevorkehrungen haben wir in den Phasen der Schulschließung  die Telefon- und Video-Beratung über verschiedene Medien ermöglicht, auch der Austausch per E-Mail über einen sicheren Beratungsserver war möglich. Ich muss zugeben: Nach anfänglicher Skepsis bin ich positiv überrascht, wie gut diese Angebote angenommen werden und wie hilfreich die Beratung auch über diese Medien sein kann. Natürlich gibt es auch Dinge wie beispielsweise die Diagnostik, die persönlich erfolgen muss und bei der die Abstände kaum eingehalten werden können. In diesen Fällen habe ich mich für den Gesundheitsschutz entschieden und die Diagnostik auf die Zeit der Öffnungen geschoben.

Außerdem habe ich während des Lockdowns über telefonische Sprechstunden und Artikel Hilfestellungen z.B. zum Homeschooling gegeben. Hier merkt man die gute Zusammenarbeit mit den Schulen in Meinerzhagen, die die Verteilung der Artikel übernommen haben. So haben wir alle Familien gut erreichen können. Für mich persönlich nehme ich aus der Pandemie mit, dass z.B. das Angebot von Videoberatung auch nach dem Lockdown ein zusätzliches Angebot sein kann, beispielsweise bei Mobilitätsproblemen meiner Klienten und/oder schweren Vorerkrankungen.

 

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