Der Krieg in der Ukraine trifft besonders auch die Kinder und Jugendlichen, die innerhalb von Stunden aus ihrem gewohnten Leben gerissen wurden. Mehr als die Hälfte aller ukrainischen Kinder ist geflohen. Sie haben schlimme Wochen erlebt und sind nun auf der Suche nach Stabilität – in einer ungewohnten Umgebung, meist mit einer enormen Sprachbarriere. Ankommen, sich zurechtfinden, einen neuen Alltag einrichten – da ist der Schulbesuch ganz wesentlich. Aber wie funktioniert der eigentlich? Und welche Erfahrungen haben die Kollegien in den letzten Wochen gemacht? Am Beispiel der Sekundarschule sind wir diesen Fragen nachgegangen.
Schulalltag als gelebte Integration
„Schon bei ihrer Anmeldung in der Stadt haben viele Mütter aus der Ukraine gefragt, ob ihre Kinder die Möglichkeit haben, schnellstmöglich die Schule zu besuchen.“ Mit diesen Worten beschreibt Frank Markus, Fachbereichsleiter Bürgerservice, die Situation. „Und natürlich ist das ein wichtiger Punkt: Wir wollen den Geflüchteten nach ihren teils wirklich schlimmen Erlebnissen ein Stück Normalität bieten – und das gilt besonders auch für die Kinder und Jugendlichen.“ Ganz folgerichtig ist gerade der Schulbesuch ein Eckpfeiler, um einen geregelten, strukturierten Alltag aufzubauen, vor allem aber auch, um Gleichaltrige kennen zu lernen, sich zurecht zu finden und daran anzuknüpfen, was man von zu Hause kennt. Lernen – vor allem die Sprache – inklusive. Was das bedeutet, erklärt Christiane Dickhut; sie ist Leiterin der Sekundarschule und hat, gemeinsam mit den übrigen Schulen in Meinerzhagen, unmittelbar nach Beginn der Flüchtlingswelle mit der Organisation eines Schulalltags für die Kinder und Jugendlichen begonnen. „Uns ist es wichtig, die Kinder und Jugendlichen unmittelbar in den ganz normalen Schulalltag einzubinden, sobald das möglich ist. Sie sollen sich von Anfang an als Teil der Schulgemeinschaft verstehen. Das gibt ihnen Sicherheit und Orientierung, sie können sich auf etwas Bekanntes stützen und gleichzeitig im normalen Schulalltag mit Gleichaltrigen ankommen, lernen und Deutschkenntnisse erwerben. Das alles ist in Summe von größter Bedeutung und hilft ihnen in dieser Zeit extremen Erlebens.“
Deutschunterricht sofort massiv aufgestockt
Dass weltpolitische Entwicklungen Schulen vor Ort so massiv beeinflussen würden, kennen die Schulleitungen aus der Flüchtlingswelle von 2015 und 2016, und die Erfahrungen daraus kommen nun zum Tragen. Am Beispiel der Sekundarschule heißt das: Sofort wurden Konzepte zur Integration der Kinder und Jugendlichen in den Schulalltag erarbeitet. Die bestehenden DAZ-Kurse, „Deutsch als Zweitsprache“, wurden enorm aufgestockt, die Klassenplanungen und die Unterrichtsgestaltung wurden angepasst, und auch die Schülerinnen und Schüler wurden in das Geschehen einbezogen, um von vorneherein für ein Gemeinschaftsgefühl zu sorgen.
Die Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine wurden demnach bestimmten bestehenden Klassen zugewiesen, wo sie einen Teil des täglichen Unterrichts mitmachen und, trotz Sprachbarrieren, bislang gut mitkommen. Eine Ausnahme gibt es für diejenigen, die in der Ukraine kurz vor ihrem Abitur standen: Sie nehmen über digitale Endgeräte der Sekundarschule per Videokonferenz am Unterricht in der Ukraine teil und haben so die Möglichkeit, ihren Abschluss zu machen und anschließend ein Studium aufzunehmen – ein echtes Novum, das alle sehr positiv aufgenommen haben.
Psychologische Betreuung steht an vorderster Stelle
Auch die sozialpsychologische Betreuung ist wesentlich, und zwar „vor allem für die ukrainischen Kinder und Jugendlichen, aber auch für die Schülerinnen und Schüler insgesamt“, so Christiane Dickhut. „Denn auch bei ihnen kommen in diesen Zeiten Ängste hoch, über die wir zwar auch im Unterricht sprechen, die sie aber auch persönlich mit unseren beiden Schulsozialarbeiterinnen und unserem Schulpsychologen besprechen können.“ Gleichzeitig beraten diese auch das Kollegium, zum Beispiel im Umgang mit Ängsten oder Extremsituationen und wie diese in den Klassen aufgearbeitet werden können. Insgesamt soll die Freude nicht zu kurz kommen, denn das positive Erleben des gemeinsamen Alltags mit allem, was dazu gehört, kann einen wichtigen Beitrag für die gesamte Familie leisten. Auch die Mütter und Familien werden dadurch entlastet und können ihrerseits eigene Alltagsstrukturen aufbauen. „Wir lernen Tag für Tag dazu“, so Christiane Dickhut. „Zum Beispiel haben wir das große Glück, dass einige russischstämmige Kinder beim Übersetzen helfen, wir haben auch eine Kollegin, die russisch spricht und die Eltern in einem Elterncafé berät. Die Kinder und Jugendlichen helfen sich gegenseitig mit Schulmaterial und bei Alltagsfragen, und auch vermeintliche „Kleinigkeiten“ wie Bilder der Mahlzeiten in der Mensa machen vieles leichter. Es ist für uns eine große Freude zu sehen, dass schon Freundschaften entstehen. Alle, wirklich alle sind mit im Boot.“
Bezirksregierung bescheinigt vorbildliche Arbeit
Insgesamt sind inzwischen über 30 Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine im Alltag der Sekundarschule angekommen. Auch an den städtischen Grundschulen sind Kinder in die Klassen aufgenommen worden; die Verteilung läuft über eine Ansprechpartnerin des Jugendamtes im Märkischen Kreis. Wer Schulmaterial braucht, wird durch die Fördervereine, die Spenden aus der Bevölkerung und die Stadt selbst versorgt. Und die ersten gemeinsamen Wochen waren zwar ganz außergewöhnlich und arbeitsintensiv, die Zwischenbilanz fällt aber sehr positiv aus. Das fand auch Michael Albrecht, regionaler Dezernent für Sekundarschulen bei der Bezirksregierung Arnsberg: Bei einem Besuch der Sekundarschule am Dienstag betonte er, wie vorbildlich die Arbeit hier vor Ort auch für andere Schulen sei und wie schnell und effizient die Integration der ukrainischen Schülerinnen und Schüler erfolgt. „Natürlich ist diese Situation auch für uns eine riesige Herausforderung“, beurteilen Christiane Dickhut und Frank Markus die aktuelle Lage. „Aber alle Beteiligten, allen voran die ukrainischen Familien, unsere bisherigen Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern, das Kollegium und die Stadt, haben das gleiche Ziel vor Augen, nämlich schnell einen neuen Alltag zu etablieren und das Ankommen zu erleichtern. Bislang ist bei allem Neuen und Schwierigen die Stimmung sehr konstruktiv und alle sind da zur Stelle, wo sie gebraucht werden. Das freut und trägt uns.“
Wenn Sie helfen wollen, sei es mit einem Betreuungs- oder Sprachangebot, sei es mit Geld- oder Sachspenden, wenden Sie sich bitte an ukrainehilfe@meinerzhagen.de. Auch die Fördervereine der Schulen engagieren sich ihrerseits und freuen sich über konkrete Angebote in Bezug auf den Schulalltag und die Ausstattung.
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